Gespräch NZZ am Sonntag Magazin
Quelle: NZZ am Sonntag Magazin vom 11.02.2024
Gespräch mit Jana Schibli, NZZ am Sonntag Magazin vom 11.02.2024
Frau Marquardt, tragen Sie gerade Pelz?
Ja, natürlich. Als Kapuze und an der Handtasche. Ich sollte ja zeigen, was ich mache.
Es gibt doch sicher Situationen, in denen das nicht so ist?
Nein. Ich ziehe ihn auch zum Einkaufen in die Migros an.
Sie sind die einzige Kürschnermeisterin der Schweiz. Wie kamen Sie zum Beruf?
Mein Vater züchtete Kaninchen, zum Ausstellen auf Messen und zur Selbstversorgung. Als zwölfjähriges Mädchen durfte – oder musste – ich einmal zu einem Fellnähkurs mit und nähte dort mein erstes Häschen aus Hasenfell.
Was löste das bei Ihnen aus?
Oh, da war ich stolz darauf. Dass ich das mit meinen eigenen Händen geschafft habe. Auch mit der Haptik, dem Kuschelfaktor. Das war dann immer bei mir im Bett. Später durfte ich mir eine eigene Hasenrasse aussuchen, eine orange-rote. Ich fand es nie schlimm, als die Hasen im Stall auf unserem Hof geschlachtet wurden.
Tatsächlich?
Ich habe das als Normalität angesehen. So wusste man, wo das Fleisch und das Fell herkommen. Die Hasen hatten auch Namen.
Hatten Sie nie einen Lieblingshasen?
Doch, meine Anastasia! Aus ihr habe ich meinen zweiten Kuschelhasen genäht.
Haben Sie nie gedacht, ich hätte eigentlich lieber nicht, dass Anastasia stirbt?
Nein. Überhaupt nicht.
Sie sind in einem 200-Seelen-Dorf Deutschland aufgewachsen. Ihr Vater war auch Metzger. Wie wurde sein Beruf dort wahrgenommen?
Als notwendig. Man hatte Schweine daheim und mein Vater machte Hausschlachtungen. Freitags und Samstags ist er morgens um halb Sieben in seinen Metzgerkleidern los. Wenn er nachmittags heimkam, waren die halt nicht mehr so sauber wie davor.
Wie fanden Ihre Eltern, dass Sie eine Lehre als Kürschnerin antraten?
Die fanden es toll. Etwas traditionelles, bodenständiges. Es ist einer der ältesten Berufe der Welt. Schon in der Steinzeit hat man Felle zusammengenäht und sich damit gewärmt.
Und in der Schule?
Da war ich schon eine Exotin. Ich musste immer erklären, was ein Kürschner überhaupt ist. “Kirschner? Kirschen entkernen oder so was?” Auch in der Berufsberatung wurde mir gesagt, das könne ich nicht lernen, das hätte keine Zukunft.
Ihnen war das egal.
Ja. Ich sagte, “ich mach das.” Ich habe mich nie geschämt für meinen Beruf.
Wenn Sie in den Zoo gehen und einen Schneeleoparden sehen – denken Sie dann, das wäre ein schöner Mantel?
[nickt langsam]
Ja?
Darf ich das sagen?
Ja, wenn es so ist.
Ja. Vor allem beim Schneeleoparden. Der kommt aus dem Amurgebiet, deshalb war das nochmals exklusiver als ein Leopard oder ein Gepard. Aber Schneeleopardenfell ist so dick, darin sieht man aus wie ein Yeti. Die Tiere sind ohnehin geschützt, weil sie dezimiert sind. Für mich wäre es überhaupt kein Thema, so etwas zu verarbeiten.
Gibt es andere Pelze von früher, die Sie sich nicht zurückwünschen?
Guereza-Affe. Der hat ganz lange, schwarze, zottelige Haare. Fast wie geglättete Extensions. Flattrig, mit einem weissen Muster wie eine Harfe hinten am Rücken. Aktuell sieht man in der Serie “Davos 1917” einen solchen Mantel. Aber der ist fake.
Was braucht es, um eine gute Kürschnerin zu sein?
Ideenreichtum und handwerkliches Können. Und Einfühlungsvermögen im Umgang mit der Kundschaft. Viele Kunden, die Pelze erben, kommen so zum ersten Mal damit in Kontakt. Sie sind unsicher und haben meistens keine Ahnung, ob sie Nerze, Zobel, Ozelot oder sonst etwas geerbt haben. Weil das Wissen nicht mehr da ist in der Gesellschaft. Früher hat der Pelz zur Grundausstattung einer guten Dame gehört. Heute muss man das Gespür dafür haben, wofür die Kundin ihn anzieht. Ob sie ihn nur für St. Moritz haben will oder auch in Zürich damit herumlaufen möchte.
Was ist der Unterschied?
Für Zürich zieht man einen Parka mit Innenfutter aus Lammfell oder geschorenem Nerz an, wo man es nicht sieht. Oder trägt vielleicht etwas Pelz an der Kapuze. In St. Moritz zieht man den Pelz nach Aussen an. Da zeigt man, was man hat.
Im Dezember hat bei Ihnen ein Walliser Wildjäger angerufen, der gerade bewilligt einen Wolf erschossen hatte. Was könnte man mit einem Wolfspelz machen?
Ein Kissen, eine Kapuze oder eine Mütze.
Also nichts Grosses.
Nein. Sonst hätten Sie ein Rudel gebraucht. Ein Wolfsmantel benötigt 15 Felle.
Na ja, das ist mittlerweile zusammengekommen…
Ja. Aber Wolf ist nicht schön zum Tragen. Struppig, ähnlich wie ein Schäferhund.
Hat ein Jäger einen anderen Umgang mit Pelz als jemand, der bei Ihnen einen neuen Nerzmantel kauft?
Auf jeden Fall. Der Jäger ist stolz auf sein Fell. Es ist eine Jagdtrophäe, ein Erinnerungsstück.
Abgesehen von Jägern – wer kauft denn heute noch Pelz?
Man trägt den Pelz in seinen Kreisen. Wenn man eine Ferienwohnung in den Bergen hat und seine Kolleginnen dahin einlädt, zum Beispiel.
Können Sie diese Kreise beschreiben?
Gut situiert, designliebend, qualitätsbewusst. Sie wollen nichts Obermodisches, sondern Wertbeständigkeit. Vielleicht auch konservativ. Ein klassischer, gutsituierter, bürgerlicher Schweizer.
Schweizer?
Schweizer, aber auch Ausländer. Besonders aus Skandinavien.
Das gängige Klischee ist Russland.
Nein, nein. Jetzt sowieso nicht. Ich habe zurzeit keine russischen Kunden. In Skandinavien ist man viel aufgeschlossener.
Wie hat sich die Kundschaft verändert, seit Sie angefangen haben als Kürschnerin?
Früher war es die Oma mit 82, die an ihrem Mantel etwas ändern wollte. Zur heutigen Kundschaft gehört auch die 25-Jährige, die sagt, “ich will eine Fuchspelzjacke haben”, weil sie die auf Instagram oder an Kim Kardashian gesehen hat.
Was macht das mit Ihnen, in einer Branche zu arbeiten, die verpönt ist?
Es ist eben nur in gewissen Gruppen verpönt. In manchen Gesellschaftsschichten ist es ganz normal. Das ist wie Fleisch in einem Fleischrestaurant. Oder Vegetarisches im Tibits – mit einem Pelz kommen Sie da gar nicht hinein.
Wären Sie für unser Gespräch heute gerne ins Tibits?
Nein! Ich frage mich nur manchmal, warum ich mich ständig erklären muss. Warum Personen das Bedürfnis haben, mich einfach anzupöbeln. Dass ich an einem Markt ausstelle und eine Person mir sagt, das sei das Allerletzte, was ich da verkaufe. Ich habe bemerkt, dass die Menschen seit Corona hemmungsloser geworden sind.
Fragen Ihre Kunden Sie, wie sie sich rechtfertigen können?
Ja. Manche fragen, was sie sagen sollen, wenn sie angepöbelt werden.
Und?
Gerade, wenn er gefärbt ist oder geschoren ist, sollen sie von mir aus einfach sagen, der Pelz sei nicht echt. 80 Prozent der Menschen sehen das gar nicht. Wenn es gut gemachte Fake Furs sind, dann muss auch ich manchmal zweimal hingucken, wenn man es nicht anfassen kann. Aber ich verstehe nicht, dass man etwas Natürliches kopiert und daraus etwas so unabbaubares macht. Einen Fake Fur aus Erdöl können Sie nicht ändern, der verrottet nicht. Das ist wie eine Gore-Tex-Jacke.
Sie finden also, es sollte kein Fake Fur geben?
Genau. Entweder es ist echt, oder ich lasse es einfach. Man will diesen Glamour haben, aber nicht dieses Tier. Und auch nicht diese Konfrontation.
Sie haben das Gefühl, es ist die Konfrontation, der die Leute aus dem Weg gehen?
Ja. Man will es zwar haben, aber nicht den Preis zahlen. Oder will nicht, dass Tiere sterben.
Letzteres verstehen Sie schon?
Ja. Aber warum will ich es dann, wenn es nicht geht? Das ist wie 3D-Drucker-Fleisch. Man versucht jetzt auch schon Nerze nachzuzüchten mit Gentechnik. Das steckt noch in den Kinderschuhen, aber ich finde es ganz absurd.
Warum?
Man will ein Fell, das die Optik hat, aber künstlich ist.
Das heisst, für Sie ist Teil davon, was einen Pelz attraktiv macht, dass auch wirklich ein Tier dafür gestorben ist?
Nicht, dass ein Tier dafür gestorben ist, sondern dass es eben ein echtes Fell ist. Aber das hängt damit zusammen. Das ist wie, wenn ich ein Schnitzel esse – da muss das Tier dafür sterben. Aber für mich steht der Charakter im Vordergrund, was der Pelz ist. Dass man ihn weitervererbt. Eine Kundin hat einmal zu mir gesagt, nachdem ich ihr den Mantel ihrer Mutter zu einem Innenfutter umgearbeitet hatte, sie habe das Gefühl, als würde ihre Mutter sie immer umarmen, wenn sie den Mantel anzieht. Pelz ist etwas Emotionales. In beide Richtungen.
Gibt es irgendein Argument von den Pelzgegnern, dem Sie recht geben?
Ja, die Ablehnung der asiatischen Tierhaltung und -tötung. Ich verkaufe nichts aus Asien.
Ende 2023 hat die Initiative zum Importverbot von tierquälerisch erzeugten Pelzprodukten genügend Unterschriften gesammelt, um vors Schweizer Stimmvolk zu kommen. Haben Sie Angst?
Wenn die Initiative in der Schweiz durchkommt, kommt das einem Berufsverbot für mich gleich. Ich dürfte keine Felle von Zuchttieren einführen, die nicht nach den sehr strengen Schweizer Standards gehalten werden. Zobel, Nerz und Füchse fielen alle weg.
Wenn die Initiative angenommen würde, was würden Sie tun?
Das weiss ich ganz ehrlich noch nicht. Schweizer Rotfuchs dürfte ich weiterhin verarbeiten, Schweizer Kaninchen auch. Ich würde wahrscheinlich immer mehr in den Umarbeitungsbereich gehen. Aber wenn nichts nachkommt an Neuware, dann ist irgendwann Schluss. Es wird aussterben.
Einen Berufswechsel haben Sie sich nie überlegt?
Nein.
Was ist das Beste an Ihrem Beruf?
Dass man kreativ sein kann und keine Meterware nutzt. Stoff kann ich nur zuschneiden, aber beim Fell kann ich es durch die Dehnung vom Leder und durch verschiedene Techniken schaffen, dass ein flaches Stück einen Bogen kriegt. Dass man ihn färben, schären, rupfen kann, das ist Freiheit. Meine Handtasche hier, die war früher mal ein schwarzer Persianermantel. Es wird nichts weggeschmissen. Diese Transformation ist das Tolle.
Werden Menschen immer Pelz wollen?
Ja, ich glaube schon. Dieses wärmende Gefühl, dieses Umschmeichelnde. Auch einen geerbten Pelz schmeisst man nicht einfach weg. Man will zumindest wissen, ob man noch etwas dafür bekommt.
Und?
Nein. Im Moment kostet ein Secondhandmantel 100 bis 300 Franken. Viele Menschen erben Pelze. Der Markt ist überflutet.
An der Bahnhofstrasse gibt es bereits seit Jahren kein Pelzgeschäft mehr. Was machen die Kürschner heute alle?
Die sind Rentner. Das neue Pelzgesetz wäre der Todesstoss für die allerletzten Kürschner. Mit 47 bin ich die Jüngste. Demografisch wird sich das Geschäft sowieso auflösen, weil es keinen Nachwuchs mehr gibt. Ein Kürschner, den ich kenne, macht jetzt irgendwas mit Grafik.
Dass es keinen Nachwuchs gibt, wie finden Sie das?
Wirklich schade. Das Fachwissen geht verloren, teure Felle werden minderwertig verarbeitet. Die Kürschner haben es sich teilweise aber auch selbst zuzuschreiben. In den siebziger und achtziger Jahren hat es geboomt ohne Ende. Da waren die Kürschner kleine Herrgöttchen; da ist die Tür nicht mehr zugegangen vor Weihnachten.
Diese goldenen Zeiten, wie waren die?
Als Kürschner war man auf dem hohen Ross. Man ist im grossen Auto nach Frankfurt gefahren zur Pelzmesse. Die Frau kam im dicken Pelz mit, damit man zeigen konnte, was man kürschnerisch drauf hatte. So ist man von Stand zu Stand gegangen und hat seine Zweihunderttausend am selben Tag ausgegeben. Jetzt gibt es die Messe nur noch in Mailand, wo sie in die Modemesse integriert und versteckt ist. Weil man den anderen Besuchern scheinbar nicht zumuten kann, dass sie Pfötchen hängen sehen. Es wird immer kleiner, und schwieriger, das Material zu kriegen. Aber das ist kein Grund für mich, es zu lassen.
Was erzählt man sich für Geschichten von damals?
Zu einem Genfer Kürschner kam Anfang der siebziger Jahre ein Scheich mit seine acht Frauen und wollte innerhalb einer Woche acht identische Mäntel aus Ozelot haben. Da mussten alle dableiben. Die Feldbetten wurden aufgestellt und die Verkäuferin hat gekocht. Es herrschte Zwölfstundenbetrieb. Einer musste nach Frankfurt fahren und Felle holen, weil sie nicht so viele auf Lager hatten.
Gab es das bei Ihnen auch?
Als ich in der Lehre in Deutschland war, hatten wir eine Kundin, eine Grossindustrielle, die ihre Mäntel immer in Rom gekauft hat. Zur Übersommerung, Reparatur und Auffrischung hat der Chauffeur sie aber jedes Jahr zu uns gebracht. 30 Stück. Eine Riesenaufregung.
Was macht man mit 30 Pelzmänteln?
Das weiss ich auch nicht. Man lagert sie wohl an all den Orten, an denen man wohnt. Oder besitzt sie für bestimmte Anlässe. Einen nur fürs Après-Ski, einen nur für die Oper und einen nur zum Fliegen.
Was ist das Aussergewöhnlichste, das Sie jemals hergestellt haben?
Ein Lammfellstrampler für einen älteren Herren, den er anzieht, um sich von seiner Domina darin einsperren zu lassen. Er wollte sich das noch einmal gönnen mit Ende 70, war aber von einigen Kürschern als Perversling aus dem Laden geschmissen worden, bevor er zu mir kam. Wir haben den Strampler aus kanadischem Biber gemacht, mit Fell innen und Leder aussen. Die Maske hatte Löcher zum Atmen. Die Augen und Ohren waren komplett zu, auch die Hände und Füsse waren bedeckt. Oben war ein Haken für das Schloss. Er ist nicht allein aus dem Ding wieder herausgekommen.
Sie haben erzählt von Kürschnern, die Sie kennen. Ist das eine Art Gemeinschaft?
Nein. Kürschner sind elitär. Ich wurde auch nie in den schweizer Kürschnerverband aufgenommen, obwohl ich es gewollt hätte.
Warum?
Ich bin eine Frau. Das ist immer noch eine Männerdomäne.
Obwohl es vor allem Frauen sind, die Pelz tragen.
Genau. In den siebziger Jahren auf den Pelzmessen trugen die Models unter ihrem Pelzmantel nur Unterwäsche. Der wurde dann natürlich auch aufgemacht. Aber diese Idee eines Sex- und Statussymbols exitiert heute nicht mehr so. Der Mann kommt zum Pelzkauf nicht mit. Die Frauen kaufen sich den selber und kommen alleine. Oder mit der Freundin, der Oma, der Schwester.
Umfragen zeigen, dass über 80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer das Halten und Töten von Tieren zur Gewinnung von Pelz für die Modeindustrie ablehnen. Was sagen Sie dazu?
Ich denke, das Problem ist die Aufklärung. Wenn in der Schule den Kindern gezeigt würde, wo das Fleisch und der Pelz herkommen, wäre das ein ganz anderes Thema. Da, wo ich herkomme, ist es überhaupt kein Problem. Meine beste Kollegin aus dem Kindergarten ist Metzgermeisterin geworden. Ich glaube, man ist zu weit weg von der Natur.
Aber ist es nicht so, dass es mehr Aufklärung gibt? Mir wurden zum Beispiel in der Schule vor zehn Jahren Videos gezeigt von bei der Eierproduktion getöteten Küken.
Das stimmt. Es ist auch immer mehr Wissen da. Aber ich glaube, dieses Wissen ist nicht verankert. Man hat das mal irgendwo in einem Video gesehen. Aber Sie waren nicht live dabei.
Wäre das nicht noch schlimmer?
Nein, ich finde es nicht schlimm.
Ja, Sie nicht.
Also, meine Kinder und die Kinder meiner Schwester waren alle dabei, als mein Vater das letzte Mal Hausschlachtung gemacht hat. Sie haben das Schwein danach auch gegessen.
Okay. Wie ist es für Ihre Kinder, eine Kürschnerin als Mutter zu haben?
Die erzählen das immer stolz: “Mama macht etwas Besonderes.” Sie tragen selbst Pelz. Es ist diese Bubble. Man zieht es an und man geht in dieses Café und nicht in jenes, in dem es nur Hafermilch gibt. Man trifft eine Auswahl. Das ist einfach so.
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